Altan Verlag
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Wir investieren Milliarden in das Gesundheitswesen und erhöhen die Zahl der Kranken.
Wir bewirken mit Friedensmissionen Kriege, Bürgerkriege, Terroraktionen.
Fünf Professoren haben sich zusammengetan, um der Frage nachzugehen, warum wir in komplexen Systemen – also allen gesellschaftspolitischen – unter großem Aufwand das Gegenteil von dem erreichen, was wir als Ziel definiert haben.
Theoretische Psychologie, Theorienbildung im Bereich „Handlungstheorie“
(Handeln als Zusammenspiel von Kognition, Motivation und Emotion, Theorienbildung durch Simulation psychischer Prozesse in neuronalen Netzwerken)
Prof. Dr. Hartwig Eckert, Europa-Universität Flensburg (EUF)
Anglistik und Sprachwissenschaft
Prof. Dr. Ines Heindl, Europa-Universität Flensburg (EUF)
Ernährungs- und Gesundheitswissenschaften
Prof. Dr. Dr. Gunnar Heinsohn, Universität Bremen
Wirtschaftswissenschaft, Soziologie, Kriegsdemografie
Prof. Dr. Dr. Jose Julio Gonzalez; Universität Agder, Centre for Integrated Emergency Management (CIEM), Kristiansand & Grimstad, Norwegen. Sicherheitsmanagement, Krisenmanagement, Informationssysteme, Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), Modellieren und Simulation von komplex-dynamischen Systemen, Systemdynamik.
Das systemische Denken wird als eine Errungenschaft dargestellt, die es dem Homo Sapiens ermöglicht, komplexe Sachverhalte besser zu verstehen. Dies insbesondere was langfristige und weiträumige Implikationen gegenwärtiger Handlungen, mit ihren Nebenwirkungen und Rückkopplungen, betrifft. Mittels Systemdenken lässt sich deshalb in Organisationen, aber auch auf der Ebene der Gesellschaft als Ganzes, bei Parteien und Politikern, die Qualität von Entscheiden und Massnahmen wesentlich erhöhen. Es gibt leistungsstarke Methoden für die Anwendung des Systemdenkens. Am Beispiel der qualitativen Systemdynamik wird gezeigt, wie chronische Zivilisationsprobleme, etwa Pathologien im Gesundheitswesen, im Verkehrssystem, in der Ökologie und Wirtschaft verstanden und in der Folge gelöst werden können. Systemdenken hilft Torheiten vermeiden. Schon Platon diagnostizierte törichtes Verhalten in der Politik und plädierte dafür, die Politiker auszubilden, ehe man sie den Anforderungen ihres Amtes aussetzt. Man müsse sie befähigen, Regeln und Metaregeln zu verstehen und zu gestalten. Letztere sind Regeln für den Bau von Regeln, etwa: „Vernachlässige nie die Nebenwirkungen …“ Systemdenken ist lernbar. Solche Metaregeln haben enormes Potential und sind einer der wirksamsten Wege zu einem effektiven Management. An anderer Stelle wird gezeigt, dass und inwiefern selbstorganisierende Systeme den hierarchisch organisierten überlegen sind, weil sie viel besser auf die Bedingungen vor Ort eingehen können. Es sind aber nicht allein strukturelle Faktoren, die erfolgs- und misserfolgsentscheidend sind. Es sind Verhaltensmuster, namentlich törichte Entscheidungen, mit denen eine „Fehlermaschine“ angeworfen wird, — mit fatalen Konsequenzen. Elf Typen der Torheit werden unterschieden, die zu den meisten möglichen Fehlern in Politik und Krieg führen. Das traurige Bild wird relativiert, da es im Prinzip relativ leicht ist, diese möglichen Fehler sowie ihre Ursachen zu erkennen und zu vermeiden. In diesem Sinne hat das ganze Buch eine realistische, konstruktive Ausrichtung, anstatt dem oft beobachteten destruktiv-pessimistischen Duktus zu folgen. Es bietet vielfältige Gestaltungshilfen für einen besseren Umgang mit komplexen Problemen und konkrete Anregungen für ein besseres Management. Das Buch hält was sein Titel verspricht. Damit ist dem Werk die verdiente Verbreitung bei Politikern, Führungskräften und anderen Entscheidungsträgern zu wünschen.
Markus Schwaninger, Prof. em. Dr., Universität St. Gallen
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„Ja, mach‘ nur einen Plan“, dichtete schon Bertolt Brecht, um dann zu beschreiben, warum dieser und auch ein zweiter nicht gehen, „denn für dieses Leben ist der Mensch nicht klug genug“. Und welche Politikerin, welcher Politiker kennt das nicht: Ein lang geplantes Vorhaben, ein aus allen Blickwinkeln und mit allen Akteuren gemeinsam realisiertes Vorhaben stellt sich als Flop heraus, weil sich die intendierten Ergebnisse nicht einstellen.
In „Zielverführung“ beschreiben vier Professoren und eine Professorin aus verschiedenen Sachbereichen, warum selbst sorgsam geplante Entscheidungen das Gegenteil von dem bewirken können, was beabsichtigt war. Prägnanteste Beispiele aus der internationalen Politik der jüngsten Zeit sind der gewaltsame Sturz der nahöstlichen Diktatoren Saddam Hussein und Gaddafi, was, statt wie beabsichtigt zu Demokratie und Frieden, zu Chaos, Bürgerkrieg, tausenden von Toten und hunderttausenden von Flüchtlingen führte. Zitat eines französischen Politologen dazu: „Der irakischen Mutter ist es wichtiger, dass ihre Kinder sicher zur Schule gelangen, als dass sie alle paar Jahre zur Wahl gehen darf“.
Welcher Politiker kennt das nicht: Ein lang geplantes Vorhaben stellt sich als Flop heraus, weil sich die intendierten Ergebnisse nicht einstellen.
Die Diskrepanz zwischen „gewollt“ und „erreicht“ bezeichnet Mitherausgeber Hartwig Eckert, Sprachwissenschaftler an der Universität Flensburg, eingangs als den Gegensatz zwischen „telischem“ und „antitelischem“ Denken. „Telos“ bedeutet auf griechisch Ziel, und telisches Denken und Handeln heißt demnach Zielerreichung, während antitelisches Verhalten Zielverfehlung bedeutet (der Titel des Buches „Zielverführung“ ist dann wohl so zu interpretieren, dass die Öffentlichkeit, Wähler, Anwohner usw. bewusst oder unbewusst getäuscht werden, wenn man ihnen ein Ziel vorgaukelt, von dem man weiß, dass es nur schwer zu erreichen ist oder das man in Wirklichkeit gar nicht anstrebt). Beispiele dafür werden in dem Buch genug beschrieben, vom Kampf gegen die Umweltverschmutzung und die Mängel unseres Gesundheitssystems, über militärische Fehleinschätzungen, die Flüchtlingspolitik, bis zur Handelspolitik und anderem.
Die Gründe für dieses Fehlverhalten sind vielschichtig und werden in den verschiedenen Beiträgen des Buches unterschiedlich gewichtet. So kommt José Julio Gonzales, Professor für Sicherheits- und Krisenmanagement in Norwegen, zu dem Schluss, dass „wir Bürger, unsere Medien und Politiker mit dem Denkgerüst und den Instinkten eines Steinzeitmenschen“ an die von der modernen Technologie geschaffenen Probleme herangehen. Mit anderen Worten: Der menschliche Geist hat mit dem technischen Fortschritt nicht Schritt halten können – die Diskussion über künstliche Intelligenz und deren potentielle Überlegenheit dem Menschen gegenüber weist in diese Richtung. Als mögliche Lösung dieses Problems schlägt Gonzales „Modellierung im Team“ vor, ein Verfahren, bei dem ein „interdisziplinäres, fachübergreifendes Expertenteam gemeinsam ein holistisches Simulationsmodell des Problems entwickelt“. Das klingt gut, nur: Vor fast allen politischen Entscheidungen werden heutzutage mehrere Gutachten eingeholt, und dennoch sind die Ergebnisse oft antitelisch.
Der menschliche Geist hat mit dem technischen Fortschritt nicht Schritt halten können.
Eine weitere Schwäche menschlichen Denkens und Handelns beschreibt der Psychologe Dietrich Dörner von der Universität Bamberg, nämlich „Wahrnehmungsabwehr. Was das eigene Weltbild stört, wird einfach nicht wahrgenommen, auch wenn es da ist“. Ein Beispiel für diese oftmals selbstmörderische Verhaltensweise ist das trojanische Pferd, das die Trojaner selbst in ihre Stadt schleppten, obwohl sie deutlich gewarnt worden waren. Ein weiteres Defizit betrifft insbesondere Politiker mit ihren begrenzten Wahl- und Amtsperioden, wenn sie „eines kurzfristigen Erfolges wegen die schwerwiegenden negativen Neben- und/oder Langzeitwirkungen einer Entscheidung oder Maßnahme außer Acht lassen“. Schließlich neigt der Mensch auch beim Blick in die Zukunft dazu, einfach von der Gegenwart her zu extrapolieren und sein Wunschbild für zukünftige Realität zu halten. Als Beispiel für eine solche, auf abgekapselter „Gruppendenke“ beruhende, kurzfristige Entscheidung ohne Bedenken der Langfristwirkungen führt Dörner den Beschluss von Bundeskanzlerin Merkel zur Grenzöffnung im September 2015 an.
In einem weiteren Beitrag spricht die Ernährungswissenschaftlerin Ines Heindl vom Gesundheitswesen als „Krankheitswesen“, das „als Wachstumsbranche nicht Ziele von Prävention und Erhaltung der Gesundheit verfolgt, sondern durch die Erhaltung technischer und personeller Systeme sprunghaft steigende Ausgaben verursacht.“ In den beiden letzten Beiträgen beschäftigen sich Gonzales und der Soziologe Gunnar Heinsohn von der Universität Bremen mit den Folgen von Bevölkerungsexplosion, daraus resultierender massenhafter Migration nach Europa und den Folgen für die „Allmende Erde“ im Allgemeinen und die Stabilität Europas im Besonderen. Fazit: Wenn nur jeder zwanzigste der im Subsahara-Afrika „von der Übersiedlung Träumenden“ in Europa einen Platz fände, würde sich deren Lage „ein wenig verbessern, für Afrika selbst würde sich nichts ändern. Wenn Deutschlands Sozialstaat aber gerade an ihnen zerbräche, stünde man plötzlich vor einer weiteren Krisenregion.“ Die fiktive Rede der Bundeskanzlerin anlässlich der Grenzöffnung für Flüchtlinge im Jahr 2015, die dem Beitrag von Heinsohn vorangestellt ist, entspricht allerdings nicht dem analytischen Niveau der Beiträge des Buches. Aufgrund ihres „populistischen“ Charakters entwertet sie letztlich die Sachargumente.
Der kritische Blick der Wissenschaft aus dem Elfenbeinturm heraus ist in vielerlei Hinsicht hilfreich; er ist aber meist nur ex-post möglich und hilft zu verstehen, was vielleicht übersehen wurde oder wo die Annahmen sich nicht als realistisch erwiesen haben. Bessere Lösungen, und vor allem den Beweis, dass diese tatsächlich besser funktioniert hätten, kann sie aber in der Regel nicht liefern. Jede Entscheidung, egal ob im städtebaulichen oder im sozialpolitischen Bereich, fällt im Rahmen der jeweiligen örtlichen, sachlichen, finanziellen und zeitlichen Gegebenheiten, die zu einer spezifischen Entscheidung führen. Ihre immer komplexeren Bedingungen und Folgen erleben Politiker wie auch Planer tagtäglich. Das liegt an immer kleinteiligeren Regulierungen und Vorgaben auf allen Ebenen von Verwaltung, von der kommunalen bis zur EU- und manchmal sogar bis zur Ebene globaler Vereinbarungen. Politikformulierung und (Reform-)Handeln wird dadurch einerseits gewissermaßen angeleitet, damit erreichte Standards (etwa im Bereich Umweltschutz und Klimaverträglichkeit, Arbeitsschutz etc.) eingehalten werden, dadurch aber auch in gewisser Weise „vorgeformt“ und eingeschränkt. Die Handelnden tragen daher Verantwortung für das Scheitern mancher Konzepte und Reformen, aber nicht für die sie bedingenden Komplexitäten unserer modernen und vielfältig verflochtenen Welt.
Türkan Karakurt, Friedrich-Ebert-Stiftung Kroatien
Auszug
Inhalt
Kapitel 1
Einfache Wege in komplexe Desaster Hartwig Eckert
Kapitel 2
Warum sind wir so tüchtige Idioten? Jose Julio Gonzalez
Kapitel 3
Pläne machen: Die Fehlermaschine und wie man sie abstellt Dietrich Dörner
Kapitel 4
Krankheit unser höchstes Gut Ines Heindl
Kapitel 5
Die Schwarze Königin: Wettrennen, bis es keine Ziele mehr gibt Hartwig Eckert
Kapitel 6
Die antitelische Tragik der Allmende: Von den Welt-Fischgründen zu den EU-Pfründen Jose Julio Gonzalez
Kapitel 7
Kompetenzfestung oder Zuflucht für Millionenheere Gunnar Heinsohn
Kapitel 8
Zielweisheit gewinnt man durch Fragen Dietrich Dörner, Hartwig Eckert, Ines Heindl, Gunnar Heinsohn, Jose Julio Gonzalez
Vorwort
Es gibt nichts Wichtigeres, als bei Projekten die Ziele klar zu definieren. Es gibt nichts Nachteiligeres, als genau das Gegenteil von dem zu bewirken, was als Ziel angestrebt wird. Zur Analyse dieser beiden Pole haben wir die Begriffe „telisch“ und „antitelisch“ geprägt. In allen dynamisch-komplexen Systemen ist antitelisches Verhalten paradoxerweise nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel.
Wir heutigen Menschen leben in einer vernetzten, globalisierten Welt, in der Maßnahmen immer zahlreiche Nebenwirkungen und langfristige Folgen haben. Für die Evolution war diese rasante Entwicklung zu kurz, um in Homo sapiens genetisch verankerte neuartige Denkfähigkeiten hervorzubringen. Die Denkmuster, mit denen wir ausgerüstet sind, reichen aus für Detail-Komplexität, wirken jedoch bei dynamischer Systemkomplexität so, dass genau das Gegenteil des angestrebten Ziels erreicht wird. Die Lösung sehen wir in heuristischen Methoden zur Erkennung dieser Muster und in Denk- sowie Handlungsstrategien zur Überwindung des Dilemmas, dynamische Komplexität mit linearen Denkmustern lösen zu wollen.
Uns geht es nicht primär darum, welche Politiker bzw. andere Stakeholder unserer Gesellschaft „Recht haben“, sondern um die Fragen, welche Ziele sie definiert haben und ob dabei die wichtigsten Variablen einbezogen wurden, auch die der Vernetzung, Langzeiteffekte und Nebenwirkungen. Wie kann man Politiker und andere Entscheidungsträger dazu bewegen, dass sie Ziele klar definieren und sie anschließend verfolgen, statt sich von ihnen zu entfernen? Wir brauchen „Zielweisheit“.