Altan Verlag

Bücher

Volker Ladenthin

Flucht nach Bethlehem

  • Erzählung
  • Paperback
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • ISBN: 978-3-930472-11-6
  • Preis: 12,00 Euro

Kapitel

Seiten

Um sich vor einer Blutrache zu schützen, flüchten zwei Schriftsteller nach Bethlehem. Aber ihre Erwartung, in einem beschaulichen Dörfchen ein Versteck zu finden, erweist sich als trügerisch. Eine Volkszählung verunsichert die Menschen, die Herbergen sind überbucht und ein Aufstand scheint bevorzustehen. Die römischen Besatzer verdächtigen jeden Fremden. Aber dann treffen die beiden ein tapferes junges Ehepaar.

Nach der Edition der Gedichte Jerry Cottons (2021) legt Volker Ladenthin mit diesem Band eine weitere Rarität vor: Die Übersetzung eines bisher unbekannten antiken Reiseberichts, der sich auf Ereignisse in Bethlehem um die Zeitenwende bezieht.

Der Herausgeber Volker Ladenthin war bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2019 Professor an der Universität Bonn und hat auch zum deutschen Kriminalroman geforscht.

Auszug

1. In der flimmernden Ferne

In der flimmernden Ferne sah man schon Hütten und Stallungen, die zu Bethlehem gehörten. Bald würden wir ankommen. Es wurde auch Zeit. Nicht alle aus unserer Reisegruppe hatten die staubigen Wege, das trockene Gebüsch und die niedrigen Tamarisken gefreut.
Wir waren müde. Gestern Abend war es spät geworden. So manchen Becher hatten wir noch getrunken, als wir schon längst nicht mehr durstig waren. Und dann mussten wir früh los. Ohne die Dienerschaft. Wir hatten sie alleine nach Tyros geschickt. Es wurde für sie zu gefährlich. Wir waren, anders kann man es nicht nennen, auf der Flucht. Und ich war nicht ganz unschuldig daran.

2. Der Stier und die Zeder

Vor einigen Tagen waren wir, also ich, Der Große D und unsere drei Diener, mit einer Karawane, in der neben zwei bedächtigen Elefanten drei blau ver- hangene Sänften mitreisten, den Nil in Richtung Del- ta gezogen, und dann östlich abgezweigt zum [Sinai]. Wir wollten über Land zurück nach Athen. Endlich.
Am Abend des vierten Reisetages, wir hatten das fruchtbare Niltal noch nicht lange hinter uns gelaSsen, waren wir in einem Zeltlager eines Beduinenstammes angekommen. Es war geplant, dort über Nacht zu bleiben. Die etwas blöden Lasttiere hatten sich auch schon niedergekniet. Aber irgendetwas ließ uns Denkende zaudern. Auch die feinfühligen Elefanten trompeteten nervös.
Die Zelte der Nomaden waren von Öllämpchen trübe beleuchtet. Die windigen Unterkünfte wirkten verlassen. In der Mitte des Zeltlagers prasselte ein großes Feuer. Rauch und Funken stoben in den dunklen Himmel. Zahllose verschleierte Männer hatten um das Feuer herum drei Kreise gebildet, die gegeneinander liefen, der mittlere Kreis rechtsherum, die beiden äußeren Kreise linksherum. Ein Provinzorchester untermalte die Szenerie mit Trommeln und Flöten, und ein Chor sang düstere Klänge, wohl eher Laute als Worte.
»Lasst uns rasch weiterziehen«, raunte unser Karawanenführer jedem von uns leise ins Ohr, »sie feiern ihr Stierfest. Es kann gefährlich werden, wenn sie berauscht sind!«
»Von Gegorenem?«
»Von sich!«
Genau diese Bemerkung war es allerdings, die mich neugierig machte und Den Großen D wohl auch. Deiphantos Alexander, so hieß er mit Geburtsnamen, trug unseren Dienern auf, mit der Karawane weiterzuziehen. Wir kämen nach. Er wolle das Spektakel nicht verpassen.
Ich schlich mich langsam in die Nähe der tanzenden Männer. Als ich mich umdrehte, sah ich, wie der Karawanenführer die letzten Dromedare zum Aufstehen antrieb. Er wollte schnell weiter. Die beiden klugen Elefanten hatten den Rand des Zeltlagers schon erreicht.
Deiphantos schob mich anstößig vorwärts in die Nähe der tanzenden Männer. Sie umringten einen Feuerkreis. Inmitten des Kreises stand auf einem hölzernen Gerüst ein goldfarbener Stier und glänzte im Feuerschein. Auf dem Stier saß im Frauensitz ein junges Mädchen. Die kurzen schwarzen Haare des Mädchens waren leicht gewellt, in der Mitte gescheitelt und wurden von einem gezackten Goldreif gehalten. Ein weites, blaues Tuch, das an der Borte breit türkis abgesetzt war, umhüllte locker seinen Körper. Seine Füße steckten in braun-weißen, nahezu golden schimmernden Sandalen.
Wir kannten Stiere aus Kreta. Dort ließen sich junge Männer im Tempelbezirk von wildgereizten Jungstieren auf die Hörner nehmen und in die Luft wirbeln. Echte Akrobaten.
Hier aber schien es anders. Hier war es ernst. Unter dem Stier lagen mehrere Lämmer und Zicklein, denen man die dünnen Beine zusammengebunden hatte. Sie zuckten und blökten, während sie langsam ausbluteten. Das Mädchen blickte teilnahmslos auf die Szenerie, als ob es berauschende Kräuter oder Pilze eingenommen hätte.
Immer schneller drehten sich die Kreise der tanzenden Männer gegeneinander. Manchmal stolperten einzelne Tänzer vor Schwindel oder Erschöpfung, fielen hin, wurden auf- und wieder mitgerissen, stolperten erneut, und dann ließ man sie außerhalb der Kreise unbeachtet liegen, bis sie wieder allein aufstehen konnten und sich einreihten. Die schwitzenden Trommler schlugen einen wilden Rhythmus, der sich noch zu steigern schien. Pam-Pam-O-Pam. Pam-Pam-O-Pam. Pam-Pam-Pam.

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