Inhalt
In einer neuen Romangattung führt Hartwig Eckert den Leser aus dem Reich der Macher in Hoffmanns Palast der Worte.
Auszug
That’s the way to go, sagen die Briten anerkennend dazu. Der von ihm nicht abgebrochene Scheibenwischer bewegte sich auch ohne Scheibe hin und her, so dass seine einzige Funktion nun darin bestand, seinem toten Herrn auf den Rücken zu klopfen.
Während ich von der Straßenseite nach dem Mann griff, fasste ihn von der Bürgersteigseite vorsichtig eine Frau an. Wie wir beide vornübergebeugt dastanden, uns eine Sekunde lang durch einen Blick zu behutsamem Vorgehen verständigten, erhellte uns ein Blitzlicht: Zwei engelsgleiche Helfer, einem armen Sünder auf seinem Götzenaltar zur Seite stehend.
***
War es das Fehlen des abgehackten Körpers oder waren es die beiden von der Decke hängenden nackten Füße, aus denen die Knochen herausragten, die mir die Sprache nahmen? Ich blickte auf Ljudmilla, meine Zeugin neben mir, die diesen Anblick später nie bestätigt hat. Wir standen in einem ehemaligen Schlachthof, in dem Fleischerhaken von der Decke hingen.
»Seht genau hin, ihr beiden«, sagte einer der drei Männer, die uns hierher geführt hatten, und die ich aus dem Bistro nach dem Unfall kannte.
Als ich den Blick wieder zur Decke wandte, erschrak ich über seine genaue Einschätzung meiner Beobachtungsgabe, denn erst jetzt bemerkte ich, dass dort zwei linke Füße hingen und der kleinere vermutlich der einer Frau war. Noch Jahre danach konnte ich keine ungleichmäßigen Schritte hören ohne die grauenvolle Vorstellung eines grotesk hinter mir hinkenden Paares. Aber mit viel größerer Wahrscheinlichkeit steckten die beiden rechten Füße irgendwo auf dem Meeresboden in Zementblöcken.
»Es ist eigentlich noch zu früh«, sagte einer der Männer, und ich hoffte, dass diese Bemerkung die Reaktion auf den Blick zur Uhr eines der beiden anderen gewesen war.
»Hast du dich jetzt satt gesehen?«, fragte mich der mit hoher Stimme und flacher Stirn. »Dir hat’s die Sprache verschlagen, was, Junge? Stumm wie ein Fisch.« Er wandte sich grinsend an die anderen: »Und wo gehören Fische rein?« Wie auf ein Kommando packten mich die drei an den Haaren und steckten meinen Kopf in einen Wassertrog, der bei dem Gerangel seinen Inhalt so weit verschüttete, dass ich bald darin atmen konnte. Als sich Hören und Sehen wieder einstellten, sagte der eine zu meiner Begleiterin: »Hallo Luja, mein Schatz. Also dein neuer Beschützer gefällt mir: Er ist so verschwiegen. Sieh zu, dass es so bleibt. Und nun verschwinde.« Er gab ihr einen Schlag auf den Hintern, als wolle er ein Pferd auf die Weide entlassen. »Nimm deinen Wasserkopf hier mit, er kann sich ja draußen noch ein wenig verschnaufen. Morgen darf er seine Sprache wiederfinden, aber ein falsches Wort vor Gericht und ihr baumelt von der Decke wie die Fledermäuse. Nun haut ab, ihr beiden Turteltauben.«
Nicht einmal als wir draußen alleine waren, gestattete ich mir den Gedanken, seine Vergleiche hinkten.
»Es hat mich gefreut, deine Bekanntschaft gemacht zu haben, Ljudmilla, aber ich fürchte …«
»Du kommst hier nicht mehr raus, ich habe es auch schon versucht.« Ich fand ihren Akzent auf einmal befremdlich, konnte aber nicht weitergehen, weil sie sich vor mich stellte, um mir Gesicht und Hals zu trocknen und dann auch noch mein feuchtes Haar mit ihren Fingern sehr sorgfältig zu ordnen. Als wir weitergingen, sah ich, dass unsere vier nassen Fußabdrücke bei dieser Prozedur ineinander verlaufen waren.
»Du kannst jetzt nicht mehr aussteigen. Die drei bestehen darauf, dass du vor Gericht aussagst.«
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